Keller, Meier, Barcélo
Keller, Meier, Barcélo / Foto: Hagen Zimmermann

"Keller - Meier - Barcelo" zählte zu den spezielleren Konzerten, die in "klangreich" überhaupt je zu hören waren. Normalerweise gedeiht solche "experimentelle" Musik in Nischen, in exklusiven avantgardistischen Biotopen, die mit dem üblichen Konzertbetrieb nur ganz wenig gemein haben. Umso erfreulicher ist es, vom Besucher Hagen Zimmermann den folgenden schönen, differenzierten und anregenden Text samt Bild zu erhalten. Bei Gelegenheit folgt wohl noch eine Hörprobe, dies braucht aber noch ein wenig Zeit.

 

Gestresste Töne

Gitarre, Schlagzeug, Trompete. Wie drei vertraute Instrumente zu einem gleichsam unerschöpflichen Instrumentarium zusammenwachsen, zeigte das Trio Keller-Meier- Barcélo im Klangreich-Konzert in der alten Kirche. Bereits von der ersten Sekunde tönender Zeit an verflüchtigt sich jedwede Vorstellung konventionellen Gebrauchs des Geräts. Wenn Trompeter André Meier pure Atemluft, begleitet von schmatzendem Ventilgeräusch, durch sein Instrument rauschen lässt, dazu Schlagwerker Victor Barcélo mit einem vom Geigenbogen gestrichenen Servierschälchen schrill pfeift und E-Gitarrist Beat Keller spitzes Gezirp von gesperrten Saiten schiesst, wird deutlich, dass hier eine Musik spielt, die (wie von John Cage stets erwünscht) noch niemand kennt. Hätte der Hörer nicht vor Augen, wie der Trompeter mit einem Stab auf sein Blech klopft, der Schlagzeuger in einen Plastikschlauch bläst und die Gitarre elektrifizierte Klänge in den Raum stellt, bliebe die Herkunft der Töne wohl auf ewig geheim. Hin und wieder schälen sich aus dem diffusen Klangteppich kleinschrittige Bewegungen, gar winzige Figuren, heraus. Gestopft und gebogen, verfremdet, getrieben und gezerrt, winden sich zu knurrendem Gitarrenbass Trompeten-Töne, die frei von tonalem Bezug wie ziellos durch den Raum geisterten, wären sie nicht durch ein fein gesponnenes, perkussives Netz geerdet. Kontrastierend zum durchgewalkten Material künden körperlich wohltuende glockenartige Klänge und ein hintergründiges Schwingen als Idee von einem Groove von mildem Ausklang. So lotsen ein paar schüchtern wiederholte Kleinterzen die 20-minütigen Tonreibereien zum Schluss.

Dem Ton in seiner reinsten Form widmet sich das Trio in der Komposition „Heart of tones“ der Erfinderin des so genannten Deep Listening, Pauline Oliveros. Ursprünglich für Posaune, Tongenerator und beliebig viele andere Instrumente konzipiert – sofern diese das d‘ samt darüber und darunter liegendem Halbton erzeugen können – steht ein reiner Sinuston im Zentrum des Stücks. Der sterilen Starre der andauernden Sinusschwingung halten die Akteure ihre eigenen handwerklich erzeugten Klänge entgegen, die immer knapp über oder unter dem Sinuston liegen. So entsteigen gläsern tönende Überlagerungen, physikalische Interferenzen, die durch den Raum wandern und wellenartig das Hörorgan massieren. Im Ringen zwischen künstlicher Schwingung und natürlichem Laut, in dem keiner obsiegt, scheint sich mitzuteilen, dass das technoide Audiosignal nur durch menschliches Zutun zum musikalischen Klang veredelt werden kann.

Das dritte namenlose und wieder frei gestaltete Stück eröffnet mit schnarrenden Pedaltönen vom Blech, die André Meier blitzschnell in sauber zentrierte Lagen umschaltet. Daraus formt sich ein Wechselspiel aus Geräusch, streicherartigen Klängen, melodischen Fetzen und rhythmisch geschütteltem Schlagwerkzauber.

Nach einer guten Dreiviertelstunde „tour de force“ erklatschte sich die beinahe vollzählig verbliebene Hörerschaft eine Zugabe – kurz, wild und frei!

Hagen Zimmermann

 

Sonntag, 12. Februar 2023, 17 Uhr
Alte Kirche Romanshorn

Keller - Meier - Barcelo

beat keller, feedbacker electric guitar 
andré meier, trompete 
victor barceló, percussion

Mit „Keller - Meier - Barceló“ sind drei Musiker zu erleben, die zur Avantgarde der Schweizer Szene zwischen Jazz und Neuer Musik zählen. Wie entsteht Neues in der Musik? Erweiterte Spieltechniken werden ausgelotet, kompositorische Techniken und Methoden entwickelt und in Kompositionen und Performances erarbeitet und aufgeführt.
Der in St. Gallen lebende André Meier unterrichtet am Konservatorium Winterthur Trompete. Als Komponist und Interpret beschäftigt er sich schwerpunktmässig mit computergestützten Kompositionsverfahren und improvisierend mit erweiterten und experimentellen Spieltechniken. Der Gitarrist Beat Keller, aus der Nähe von Weinfelden stammend und mittlerweile in Berlin und Winterthur lebend, komponiert Werke für Jazz- und Kammermusikensembles, die international höchste Anerkennung ernten. Mit seiner „Feedbacker E-Gitarre“ hat er ein einzigartiges Instrument gefunden, das neue elektroakustische Klang- und Geräuschwelten erschliesst. Victor Barceló schliesslich, ebenfalls in Winterthur unterrichend, zählt zu den jungen, international tätigen Schlagzeugern. Barcelós ENSEMBLE THIS | ENSEMBLE THAT spielt an wichtigen Häusern und Festivals und ist bekannt für seine innovative Intergation multimedialer Inhalte.
Über die Denk‑, Forschungs- und Kompositionstätigkeit hinaus fliessen diese Erfahrungen ein in die spielerisch-lustvoll geprägten Momente der kollektiven Improvisation, an denen wir als Hörer teilhaben dürfen.

Websites:

Beat Keller | André Meier | Victor Barcelo